Wasserkraft und Hochwasserschutz
An der alten Wehranlage in Schleiden-Gemünd will ein Investor ein Wasserkraftwerk errichten, das 150 Haushalte mit Strom versorgt. Gleichzeitig leistet die geplante Anlage einen wichtigen Beitrag zum Hochwasserschutz.
Wasserkraft wird seit Jahrtausenden von Menschen genutzt und in Zeiten des Klimawandels gewinnt diese natürliche Ressource immer mehr an Bedeutung. Doch manchmal ist der Weg von der Idee bis zur Realisierung ein steiniger. Eine langwierige Genehmigung, wasserrechtliche Auflagen und eine Klage des Landesfischereiverbands Westfalen und Lippe – so manch einer hätte längst das Handtuch geworfen, doch Investor Hubert Verbeek ließ sich trotz aller Widrigkeiten nicht entmutigen: Nun endlich kann der Kapitalanleger das geplante Wasserkraftwerk an der Staustufe in Schleiden-Gemünd bauen. „Man braucht schon etwas Biss und Ausdauer“, sagt er lachend. Das Kraftwerk mit einer Leistung von 105 Kilowatt soll jährlich rund 450.000 Kilowattstunden Strom erzeugen und knapp 150 Haushalte mit Energie versorgen.
Wehr auf Mountainbiketour entdeckt
„Das Potenzial habe ich sofort gesehen“, erinnert sich Verbeek. Bei einer Mountainbiketour in der Nordeifel fuhr er 2009 an der Urft entlang und entdeckte das Wehr eher zufällig. Es gehörte im 19. Jahrhundert zu einem Eisenwalz- und Schneidwerk und regulierte die Wasserzufuhr zum Scheidmühlengraben. Der Graben ist inzwischen zugeschüttet und das Areal ist Bestandteil des Stadtparks, das Wehr steht bis heute. „Ich habe seinerzeit einen Brief mit meiner Idee an den damaligen Bürgermeister Ralf Hergarten geschrieben, er war sofort Feuer und Flamme“, erzählt der Investor. Die Stadt Schleiden erkannte das Potenzial des Kraftwerks, konnte das Projekt aufgrund der finanziellen Haushaltssituation aber nicht selbst finanzieren. „Als dritter Bürgermeister, der sich mittlerweile mit dem Projekt beschäftigt, freue ich mich sehr, dass Hubert Verbeek nie aufgegeben hat und hoffentlich nächstes Jahr mit dem Bau beginnen kann“, zeigt sich Schleidens aktueller Bürgermeister, Ingo Pfennings, begeistert. „Neben der Energiegewinnung bietet das geplante Wasserkraftwerk auch Mehrwerte in Bezug auf den Hochwasserschutz. Zudem hat Herr Verbeek dankenswerterweise meine Anregung aufgenommen, die Turbine sichtbar zu machen, so dass Kindergärten und Schulklassen vor Ort spannende Einblicke in das Thema Wasserkraft bekommen können.“
Sanierung als Maßnahme zum Hochwasserschutz
Verbeek will nicht nur das Wasserkraftwerk errichten, sondern auch das Wehr sanieren sowie eine neue Fischtreppe bauen. Für den Hochwasserschutz werden an der Anlage stromlinienförmige Bleche befestigt, die sich bei starkem Wasserdruck selbstständig absenken und so mehr Wasser durchlassen. „Bei der Flutkatastrophe 2021 hätte die Anlage das Hochwasser in der Schleidener Innenstadt reduziert und es wären weniger Schäden entstanden.“, ist der Investor überzeugt.
2009 erwarb Verbeek das Wehr sowie die notwendigen Flächen und begann mit der Planung. Mit Wasser und Wasserkraft kennt er sich aus, Verbeek stammt aus einer Müller-Familie aus Waldfeucht-Haaren bei Heinsberg, ist noch heute Mühlenbesitzer und betreibt bereits ein Wasserkraftwerk an der unteren Rur in Kreuzau-Winden. Mit seinem Vorhaben auch in Gemünd mit Wasserkraft Strom zu erzeugen, stieß der Investor zwar bei der Politik auf große Zustimmung, doch das Genehmigungsverfahren zog sich in die Länge. „Da ich selbst aus der freien Wirtschaft komme, bin ich immer wieder schockiert darüber, wie lange Planungs- und Genehmigungsverfahren oftmals dauern“, so Bürgermeister Pfennigs. „Die Bürokratie frisst die Innovationsfähigkeit unseres Landes, frustriert und kostet – bei aller sinnhaften Überwachung – oftmals viel Geld.“
EU-Richtlinie soll Genehmigungsverfahren beschleunigen
Dass wasserrechtliche Verfahren sehr lange dauern, fiel auch der Europäischen Union (EU) auf. Sie erließ Ende 2018 die Richtlinie 2018/2001 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen (RED II). Die Richtlinie enthält unteranderem Anforderungen, die effiziente und eine einfache Verfahrensabwicklung regeln soll. Geholfen hat diese Richtlinie Verbeek wenig, es dauerte mehrere Jahre, bis ihm die Erlaubnis vorlag, das Kraftwerk zu errichten. „Die sich anschließenden Rechtsstreitigkeiten kosteten weitere vier Jahre, in denen kein klimafreundlicher Strom erzeugt werden kann, der Hochwasserschutz nicht optimiert ist und die Fische auf einen ökologisch dienlichen Fischaufstieg am Schoellerwehr verzichten müssen“, so Verbeek.
Schutz der Äschenlarven im Fokus
2020 wurde die Genehmigung unter anderem mit der Auflage erteilt, das Wasserkraftwerk zum Schutz der Äschenlarven zwei Monate im Jahr abzuschalten. Verbeek klagte gegen insgesamt sechs belastende Auflagen, mit denen er die Anlage weder wirtschaftlich betreiben noch eine gleichmäßige Stromlieferung hätte garantieren können. „Laut Studienlage kommen Fischlarven weniger durch die Turbinen als durch das Wehr zu Schaden“, so Verbeek. Alle geplanten Maßnahmen würden zudem weit über die Anforderungen des Artenschutzes hinausgehen. Äschen wurden letztmalig bei Untersuchungen des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) im Jahr 2016 nachgewiesen und es ist fraglich, ob die Population die Flutkatastrophe 2021 überlebt hat. In der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erklärte Verbeek sich bereit, in Abstimmung mit dem Kreis Schleiden und dem LANUV auf eigene Kosten untersuchen zu lassen, wie sich die Äschenpopulation vor und nach dem Bau und der Inbetriebnahme entwickelt hat. Verbeek: „Wir gehen davon aus, dass sich die Situation für alle Fischarten verbessert, nicht nur für die Äsche.“ Schlussendlich wurden vor Gericht Einigungen getroffen, die den Bau und Betrieb des Wasserkraftwerks ermöglichen und dem Schutz von Flora und Fauna Rechnung tragen.
Fensterfronten geben Einblick auf Stromerzeugung
Gebaut wird die Anlage genauso, wie sie bereits vor 15 Jahren geplant worden ist. Im Bereich des alten Wehrtores entsteht ein Gebäude mit den Ausmaßen einer größeren Garage. Großflächige Fensterfronten und eine Glastür geben Einblick, wie das Wasser durch die Turbinen strömt und Strom erzeugt. Wann das Wasserkraftwerk letztendlich in Betrieb gehen kann, ist allerdings noch nicht absehbar. „Jetzt steht erst einmal das Monitoring der Äschenpopulation vor der Tür, das wird sich bis zum Frühjahr 2025 hinziehen.“, so Verbeek. Zudem gebe es Lieferschwierigkeiten bei den benötigten Turbinen und die Unternehmen, die solche Anlagen installieren und in Betrieb nehmen sind noch immer mit den Reparaturen der Hochwasserschäden beschäftigt. Verbeeks Wasserkraftwerk in Kreuzau-Winden erzeugt übrigens schon seit Jahren den Strom für rund 100 Haushalte. Hier dauerte es nur ein paar Monate, bis er die Erlaubnis hatte, das Wasserkraftwerk zu bauen. „Es handelt sich um eine historische Anlage.“, erklärt der Investor. „Dort liegt eine Genehmigung aus dem frühen 19. Jahrhundert zugrunde, die bis heute Gültigkeit hat. Vor mehr als 200 Jahren war man in der Lage, das Genehmigungsverfahren in nur sechs Monaten durchzuführen.“
Gigawattpakt treibt die Energiewende voran
Wasserkraftwerke wie in Schleiden oder Kreuzau-Winden tragen dazu bei, dass im Rheinischen Revier mehr Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt wird und tragen zur Umsetzung des Gigawattpakts bei. Ziel des Paktes ist es, die erneuerbaren Energien im Revier von etwa 2,3 Gigawatt (GW) im Jahr 2020 auf mindestens fünf GW in 2028 zu steigern. Der Gigawattpakt ist Bestandteil des umfassenden Strukturwandels, der die traditionelle Braunkohleregion zu einem modernen, klimaneutralen Energie- und Industriestandort transformieren soll. Inzwischen haben sich eine Vielzahl von Akteuren – die NRW-Landesregierung, Kommunen, Stadtwerke und regionale Unternehmen – zusammengeschlossen, um gemeinsam an der Umsetzung dieses ehrgeizigen Ziels zu arbeiten. Wer sich dem Pakt anschließen will, ist herzlich willkommen. Vorhaben des Gigawattpakts werden von der NRW-Landesregierung unterstützt. 60 Millionen Euro Fördermittel stehen bis 2028 für den Ausbau erneuerbarer Energien zur Verfügung. So soll der Ausstoß von klimaschädlichem CO2 reduziert und die Energiewende im Rheinischen Revier vorangetrieben werden.
Weiterführende Links
- Wasserkraft im Energieatlas NRW
- Wasserkraft in NRW (BUND)
- Förderprogramm „Gigawattpakt“ (Bezirksregierung Köln)
- Übersicht Gigawattpakt
- Wasserkraft – Erneuerbare Energien entdecken (RWE)
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