Renée Karamatijevic und Anna-Juliane Röttgen haben viele Gemeinsamkeiten: Sie sind beide 17, gehen beide auf das Gymnasium Bischöfliche Liebfrauenschule in Eschweiler, sind beste Freundinnen und haben beide Nachhaltigkeit aus Überzeugung tief in ihren Alltag integriert. „Wir gehen immer zu Fuß zur Schule, auch wenn es 40 Minuten dauert“, erzählen sie, „wir lassen uns auch nur selten von unseren Eltern zu Terminen fahren. Wenn wir weiter weg zu tun haben, bevorzugen wir Bus und Bahn.“ Renée erzählt, dass sie in ihrem Zimmer zu Hause sogar lieber einen Pullover mehr anzieht, als die Heizung aufzudrehen. „Wenn wir alle bei uns selbst anfangen und kleine Dinge einfach konsequent durchziehen, schaffen wir große Veränderungen“, ist sie überzeugt.
Die Familien, Geschwister und Freunde der beiden sind es noch nicht ganz. Gut finden viele, wie kompromisslos sich beide für Ressourcenschutz einsetzen, belächeln es gleichzeitig aber auch, wenn sie zu Fuß durch den Regen stapfen, während die Schwester aus dem beheizten Auto winkt. Empfehlungen nehmen die Eltern aber sehr wohl an, etwa beim Fleischkauf auf Tierwohl zu achten. Wobei der Sonntagsbraten für die jungen Frauen selbst völlig uninteressant ist, weil sie vegetarisch leben. Das alles hat sich übrigens Stück für Stück in das Bewusstsein insbesondere von Renée, die den Anfang machte, vorgearbeitet, wenn sie sich „Gedanken über die Welt gemacht“ hat. Was nichts mit der Fridays-for-Future-Bewegung zu tun hatte: „Wenn wir Fotos sehen von Kids, die sich von ihren Eltern mit dem SUV da hinfahren lassen und vor Ort mehr mit ihrem Handy als dem Thema beschäftigt sind, können wir das nicht unterstützen.“
Und dann ist da noch der Strukturwandel, der aus ganz anderen Gründen in beiden Haushalten des Öfteren Thema ist, insbesondere im Hause Röttgen. Die Mutter von Anna-Juliane arbeitet nämlich als Industriemechanikerin bei RWE und hat berechtigte Zweifel, ob sie ihren Job noch lange behält. Allen ist klar, woran das liegt. Aber auch, wenn Zukunftsangst selbstverständlich mit negativen Gefühlen einhergeht, halten alle den Strukturwandel für notwendig und grundsätzlich positiv.
Warum das so ist, aber auch welche Fülle an Emotionen damit verbunden ist, wollen die jungen Frauen aufarbeiten, und zwar in bunten Bildern und einer Sprache, die Kinder verstehen und annehmen. „Meine Schwester ist gerade vergangenes Jahr in die Grundschule gekommen“, sagt Anna-Juliane, „an Kinder wie sie richten wir uns, um ihnen zu erklären, was hier eigentlich passiert und warum, und dass wir nicht wegsehen bei den negativen Auswirkungen, dass sie sich allerdings mittels Veränderung vermeiden lassen und letztlich einem guten Zweck dienen.“
Was die zwei über Strukturwandel wissen, haben sie sich überwiegend selbst erarbeitet, weil das Thema im schulischen Lehrplan noch nicht verankert ist. Lehrerin Sabine Taraschewski hat sie mit den ersten Infos versorgt, Lehrer Jochen Hermanns begleitet das Projekt, das als Kursarbeit im Fach Deutsch anerkannt wird. Aber manche Details machen eigene Recherchen notwendig. Die Kreation der Hauptpersonen hingegen nicht, denn die sind buchstäblich dem echten Leben entsprungen: Protagonistin Sophia ist Anna-Julianes Schwester, die tatsächlich so heißt, ebenso wie Mutter Kamila, und die auch wirklich einen besten Freund namens Tom hat, mit dem sie ihre Sorgen teilt. Der Plot erzählt von Sophia, deren Mutter ihren Job zu verlieren droht, davon, was die Mama unternimmt, um in Zukunft trotzdem Geld verdienen zu können, und wieso das alles überhaupt passiert.
„Was, wenn die Wolkenfabrik schließt“ wollen die zwei Jugendlichen ihr Werk nennen, das erst zum Frühjahr hin fertig wird, weil sie ihren Mitlernenden gegenüber keinen zeitlichen Vorsprung haben sollten und daher die Umsetzung erst im Januar Fahrt aufnimmt. Auch der Titel hat einen biografischen Hintergrund: „Wenn wir früher irgendwo hingefahren sind, dann war es das Kraftwerk, an dem wir Kinder erkannt haben, dass wir uns unserem Zuhause wieder nähern. Für uns hatte das nichts Negatives, das waren dichte weiße Wolken, auf die wir uns immer gefreut haben“, erinnert sich Renée. Mit dieser Wahrnehmung wollen die Freundinnen arbeiten, bei dem bleiben, was Kinder wirklich empfinden, nicht bei dem, was ihnen von Erwachsenen in den Mund gelegt wird. Und darum haben Angst, Wut, Enttäuschung, Verwirrung ebenfalls Platz. Aber eben auch Hoffnung.
Die Ausgestaltung der Charaktere ist, weil dieser Stil bei Kids beliebt ist und die beiden selbst auch Manga-Fans sind, an den Comic-Look aus Fernost angelehnt. Renée zeichnet die Figuren, Anna-Juliane kümmert sich um die Hintergründe, beide zusammen arbeiten an den Texten.
Was herauskommt, hat das Potenzial, zu einem etwas anderen „Lehrbuch“ für Grundschulkinder zum Thema Strukturwandel zu werden. Ob das jemals einen Naruto-ähnlichen Hype auslösen wird, ist mit einem dicken Fragezeichen versehen. Aber im Rheinischen Revier kann ein Buch von Jugendlichen für Kinder doch so einiges bewegen. Die Zukunftsagentur bleibt an dem Thema dran, das übrigens auch in das Unternehmen-Revier-Projekt „Jugend gestaltet Strukturwandel“ integriert ist. /pak