Dass ein solch innovatives Bürogebäude ausgerechnet in Titz stehen und für die Region den Strukturwandel voranbringen soll, kam so: Es gab in der Landgemeinde in der Jülicher Börde einmal eine weniger rosige Zeit, und die ist nicht einmal lange her. Vor gerade einmal 20 Jahren beklagte die Landgemeinde mit sieben Nachbarn in vier Kreisen des Rheinischen Reviers einen „ungesunden Bevölkerungsschwund“, wie Bürgermeister Jürgen Frantzen erzählt. Vor Ort keine großen Arbeitgeber, die Lage infrastrukturell durch die Nähe zu zwei Tagebauen und den daraus resultierenden Umwegen nicht optimal, blieben allenfalls Ältere, während Jüngere sich vermehrt umorientierten. Doch Frantzen sah das bei seinem Amtsantritt 2009 weniger als Damoklesschwert denn als Herausforderung. Und die nahm er gemeinsam mit den politischen Parteien an, investierte in Bildung, machte Bauflächen attraktiver, und die Rechnung ging auf: Einen stärkeren Zuzug hatte in den vergangenen Jahren keine andere Kommune im Kreis Düren. Einkommensstarke Familien mit vollbeschäftigten Eltern: So liest sich das Profil des „Durchschnitts-Neu-Titzers“.
Resultat ist nicht nur, dass die Zahl der Einschulungen sich buchstäblich verdoppelt hat von 54 im Jahr 2011 auf 111, die für 2022 bislang bekannt sind. Auch ist Titz derzeit die einkommensstärkste Kommune im gesamten Kreis Düren und hat eine Warteliste mit mehr als 300 Interessierten für künftige Wohnbaugrundstücke, wächst also perspektivisch weiter. „Es geht uns aber nicht um Wachstum um des Wachstums willen“, betont Frantzen und breitet einen Plan auf dem Tisch aus. Darauf zu sehen: Die grüne Vision vom Titz von morgen. Und das hat einen eigenen Bahnhaltepunkt – und gleich gegenüber erblüht das „PRIMUS-Quartier“. In diesem baumumsäumten Viertel liegen Einkaufsmöglichkeiten von der Drogerie bis zum Textilhandel Seit‘ and Seit‘ mit einem Festplatz, auf dem Karnevalisten oder Schützen ihre Zelten aufbauen können und mit einer Business-Allee rund um den Coworking Space.
„Ohne lange Wege können Menschen mit ganz unterschiedlichen Berufen hier in einer professionellen Umgebung arbeiten und sich vernetzen, und zwar genau so, wie es zu ihren Bedürfnissen passt."
Letzterer ist ein Projekt im Starterpaket Kernrevier, bereits mit dem zweiten Stern ausgezeichnet und wartet nun darauf, zu erfahren, wo der Förderantrag sinnvoll gestellt werden kann. Nur diese Hürde trennt das Vorhaben nämlich von der Umsetzung. Die Macher wünschen sich, das Gebäude 2023 einweihen zu können. Es ist in einem zeitgemäßen Bauhaus-Look geplant, optisch geprägt von roten Ziegeln und Glas. Dahinter verbergen sich Büros, die eine „dritte Dimension des Arbeitens“ ermöglichen. Während Vor- und Nachteile von stationärem Büro und Homeoffice bekannt sind, bietet das Konzept des Coworking-Space mit derzeit 25 Planplätzen einen ergänzenden Mehrwert. „Ohne lange Wege können Menschen mit ganz unterschiedlichen Berufen hier in einer professionellen Umgebung arbeiten und sich vernetzen, und zwar genau so, wie es zu ihren Bedürfnissen passt. Ob es nun vier Mal in der Woche ganztags ist oder nur ein Mal in der Woche für ein kreatives Brainstorming von drei Stunden – die Arbeitsplätze sollen sich flexibel mieten und nutzen lassen“, umreißt Michael Biermanns, Fachbereichsleiter Gemeinde- und Strukturentwicklung sowie Wirtschaftsförderung, die Idee.
Dass die Planplätze nicht frei bleiben, ist jetzt schon klar: Die Summe ergibt sich aus einer umfangreichen Bedarfsabfrage, auf der die Ideenskizze basiert. 23 von 25 Plätzen sind theoretisch schon belegt, praktisch könnten es künftig noch deutlich mehr sein. Das darf gerne so kommen, denn mögliche Erweiterungsbauten sind bereits mitgedacht: Das Quartier wächst mit Titz und den Anforderungen seiner Einwohner.„Natürlich richtet sich der Coworking-Space nicht explizit nur an Titzer, schließt hier aber eine Lücke, denn vor Ort haben wir keine großen Arbeitsgeber, dafür aber umso mehr Vollbeschäftigte und Selbstständige, die von so einem kollaborativen Ort profitieren. Sie müssen nicht mehr jeden Tag fahren, haben dennoch eine Abgrenzung von ihrem Privatbereich. Das Klima freut sich, die Motivation gleich mit“, resümiert Frantzen weitere Vorteile.
Als Betreiber angedacht ist der Brainergy Park, und das mit gutem Grund, denn vor Ort in dem entstehenden Forschungs- und Unternehmensviertel auf der Merscher Höhe vor Jülich sollen ähnliche Coworking-Büros entstehen. „Nur im Brainergy Park richten diese sich an Start-ups, Gründer und AusgründungenGründer, während unser Konzept auf die Ansprüche von Menschen ausgerichtet ist, die bereits mitten im Berufsleben stehen“, konkretisiert Biermanns. Um das entstehende Gebäude in das entstehende Viertel integrieren zu können, verändert sich im nach Bedburg ausgerichteten Teil von Titz einiges: Die bestehenden Sportplätze weichen, ein Ersatz entsteht gleich gegenüber vom Coworking-Space, die Straßeninfrastruktur erfährt eine Optimierung, die auch den Bring-und-Abhol-Verkehr zu den nahegelegenen Gebäuden von Kindergarten und Schulen entzerren wird.
Das i-Tüpfelchen wäre ein Bahnhaltepunkt im Entwicklungsgebiet gegenüber, verrät Frantzen. „Das entzieht sich unserem direkten Einfluss natürlich“, ist der Bürgermeister sich bewusst, „aber alles andere haben wir in der Hand und werden das so umsetzen, dass alle Titzer, natürlich auch die alteingesessenen, dadurch noch mehr Lebensqualität gewinnen.“ Und das könnte noch mehr Menschen in die prosperierende Landgemeindeziehen. Auch daran ist gedacht und Neubaugebiete bereits vorgesehen… /pak
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